CPOV - Eine halbe Wikipediakonferenz
Sonntag, 26. September 2010 | Autor: Nico
Wikipedia - ein kritischer Standpunkt, kurz CPOV (Critical Point of View) hieß die gerade hier in Leipzig zuende gegangene Konferenz rund um die Forschung und Menschen um Wikipedia.
Ich war von der Konferenz ehrlich gesagt enttäuscht teilweise etwas enttäuscht.1 Gut und Schlecht waren etwa 50:50 gemischt. Einige Talks fühlten sich an, als hätten die Redner ihre Standardmeinung zum Internet nur in homöopthischen Dosen mit dem Wort „Wikipedia” angereichert, um auf der Konferenz reden zu können. Manche waren einfach nur schlecht.
Vorträge
Ein Vortrag war komplett in Soziologen-Lingo chiffriert und mit entsprechenden Buzzwords überfrachtet. Er wurde vom Blatt vorgelesen und kam mit der Zeit nicht aus. In der Diskussion danach meinte eine andere Forscherin, die zitiert worden war, dass ihre und die Meinung anderer Forscher im Vortrag in genau die umgekehrte Richtung falsch interpretiert wurden. Im Laufe des Gesprächs fiel auf beiden Seiten ungefähr: „Ich weiß ja auch keine Antworten.”
Auch andere Vorträge waren übermäßig öde. Die Leute haben sich dann anderweitig beschäftigt - etwa mit dem Editieren der Wikipedia oder ihre Langeweile auf Twitter kundgetan.
Es gab aber auch ein paar gute Vorträge! Ulrich Johannes Schneider, der Direktor unserer Uni-Bibliothek, in der das ganze stattfand, gab einen interessanten Rückblick auf die Geschichte einiger Enzyklopädien und Enzyklopädistik. Überraschend gut!
Christian Stegbauer erzählte vom Wandel der Wikipedia von der Befreiungsideologie zur Produktideologie. Die Phase, in der die Wikipedia vor allem Wissen aufhäufte um es anderen zugänglichen zu machen ist zuende. Aktuell sind wir in einer neuen Phase, in der es vor allem darum geht, das Produkt Wikipedia besser zu machen - Artikel zu pflegen, verbessern. Kann man sicherlich drüber streiten - ich denke pragmatisches Handeln heißt nicht, dass man nicht vom Konzept des freien Wissens begeistert sein kann. Zeitweise war der Vortrag nicht wahnsinnig produktiv, aber ich fand ihn am Ende doch ganz nett.
Leonhard Dobusch verglich die Ausbreitungsstrategien und Communitys von Creative Commons und Wikipedia. CC hat sich rasch in aller Welt instiutionell verankert, bei Wikipedia kam’s erst später. Auch ist das geschäftsmäßige Rückgrat des CC-Projekts kleiner, die „Community” besteht eher aus der Masse der anonymen Anwender, die per se auch nichts mit den Machern von CC zu tun haben. Wikipedia andererseits hat erst später Chapters in den Ländern gegründet. Die Community ist näher dran an der Verwaltung.
Christian Pentzold hat dann ein paar Zahlen gebracht. Die meisten Artikel bleiben weniger als 16h gesperrt. Einzelne aber auch mal Monatelang. Problematisch natürlich, denn in dieser Zeit wird an dem Artikel natürlich auch nicht gearbeitet. Schlussfrage: Sind solche Sperrungen nützlich? Vermutlich, kommt drauf an? Ich denke hier muss man mal eine Lanze für die Admins brechen (was auf der Konferenz fast nie geschah). Wenn ein Artikel im Edit-War ist, muss man auch einfach mal ne Pause zur Abkühlung machen. Auch handwerklich ein guter Vortrag.
Peter Haber stellte sich die Frage, ob Wikipedia von der Qualität her überhaupt brauchbar oder sogar zitierbar ist. Resultat im Wesentlichen: Artikel sind oft zwar fehlerfrei, aber schlecht gemacht, sodass sie sich nicht zum Einstieg in ein Thema eignen. Er erlaubt seinen Studenten, Wikipedia zu zitieren, wenn es aus gutem Grund geschieht und nicht nur aus Recherchefaulheit.
Rainer Hammwöhner erzählte von Wikipedien verschiedener Sprachen. Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Größe. Sehr schlecht vertreten ist beispielsweise Afrika. Woran liegt’s? Ein Kommentator, Ziko, gibt nach dem Vortrag die Antwort: Zwar gibt es in bestimmten Regionen Menschen, die seltene Sprachen wie Zulu sprechen, diese benutzen dennoch nicht die Zulu-Wikipedia sondern die viel bessere englische Wikipedia. Dennoch ist die englische Wikipedia keineswegs ein globales Blackboard, wie Hammwöhner herausgefunden hat.
Eine tolle und ausführlichere Sammlung der auf der Konferenz vertretenen Thesen findet sich auch bei Iberty hier und hier! Vielleicht ist Live-Blogging wirklich ein besseres Werkzeug, um solche Konferenzen abzudecken.
Podiumsdiskussion
Hier ging es endlich um die Wurst. Aus dem Publikum kam die Frage, ob es nicht Sinn mache, zusätzliche Wikipedien in einfacherer Sprache zu verfassen, bspw für Schüler. Sicher eine gute Idee - aber wer macht’s? Mathias Schindler bringt es auf den Punkt: Es gibt mehr Menschen, die sagen „Könnte man nicht mal..”, als Menschen, die es tatsächlich tun.
Lustig wird’s als Anne Roth vorschlägt, die Wikipedia solle Stammtische, öffentliche Auftritte oder ähnliches organisieren. Die anwesenden Wikipedianer beißen in die Tischkante. Die Frage wird auch schnell geklärt: „Das gibt es alles schon!”. Dann müsse dafür eben mehr Werbung gemacht werden, so Roth. Es geht noch etwas hin und her und seitens der Wikipedianer kommt die Frage auf „Ja, aber ist das mein Problem?” Die Antwort: „Ja. Ihr habt nur diese eine Bevölkerung.” Vielleicht kam es nicht so gut rüber, aber es ist natürlich wahr - die Wikipedia zieht ihr Potential aus den Usern und diese User muss man im Endeffekt umwerben, denn sie schulden der Wikipedia garnichts.
So ging die CPOV leicht gefrustet zuende.
Für Interessierte gab Schneider noch einen Rundgang durch die Albertina und die Ausstellung wertvoller Papyri wie dem Papyrus Ebers im Original.
Fazit
Ein großes Manko war in meinen Augen, dass Vorträge teilweise nur marginal mit der Wikipedia zu tun hatten. Auch wurde das große Thema der realen oder vermuteten Admin-Willkür fast völlig ausgespart. Viele Wikipedisten (Wikipedia-Forscher) sind offenbar selbst nicht in Wikipedia aktiv - ziemlich absurd. Aktive Wikipedianer waren mit Vorträgen nicht vertreten, was die ganze Sache etwas einseitig werden ließ.
Fazit: War ganz nett, aber es lohnte sich eher nur für einschlägig interessierte Gruppen. Wenn die nächste Konferenz dieser Qualität nicht in Leipzig stattfindet, werde ich mir nicht die Mühe machen, zu kommen.2