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Wikipedia (relativ) kurz erklärt

Dienstag, 17. Mai 2011 | Autor:

Die­sen Post habe ich ursprüng­lich als Kom­men­tar einer NSFW-Sen­dung geschrie­ben, in der Hol­gi sei­ne Vor­be­hal­te gegen Wiki­pe­dia­ner vor­ge­tra­gen hat.

Ich selbst war letz­ten Herbst auf der CPOV[1], wo die Wiki­pe­dia kri­tisch beäugt wur­de, aber auch Admins anwe­send waren, die das eben­so inter­es­siert ver­folgt haben. Das war für mich Moti­va­ti­on, mich ein biss­chen näher damit zu befas­sen und auch mehr zu editieren.

Rechteverteilung

Die WP besteht aus 1 Mil­lio­nen ange­mel­de­ten Benutzern[2].
Davon sind 10.000 akti­ve Sich­ter (wird man nach 300 Edits), d.h. sie kön­nen bei einem Arti­kel sagen: „Ent­hält kei­nen Van­da­lis­mus!” Das dient nicht dem inhalt­li­chen Review, son­dern dazu, dass Leser even­tu­el­len Van­da­lis­mus gar nicht erst zu sehen bekommen[3]. (Default wird nur die letz­te gesich­te­te Ver­si­on angezeigt)
Von den Sich­tern sind 300 Admins.

Löschdebatte

Die Auf­re­ger, die immer so über Twit­ter gehen, haben meis­tens Löschanträ­ge („LA”) zum The­ma. Dazu muss man fol­gen­des wis­sen: Einen Lösch­an­trag kann wirk­lich jeder stel­len. Ein Lösch­an­trag stellt immer erst­mal eine Ein­zel­mei­nung dar. Den­noch wird immer gesagt „DIE WIKIPEDIA1elf!! will das­und­das löschen!!!!”. So ist es ein­fach nicht. Irgend ein Ein­zel­ner hat eben eine Mei­nung und hat einen Antrag gestellt.
Wenn man mal Lösch­dis­kus­sio­nen ein biss­chen anschaut (z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:L%C3%B6schkandidaten/16._Mai_2011), merkt man auch schnell, dass es dort durch­aus kon­struk­tiv zur Sache geht (von Antrag bis Löschung sind 7 Tage Zeit). Wenn Rele­vanz ver­misst wird, bringt oft einer schnell einen Link bei SpOn oÄ an und dann ist die Sache auch schnell geklärt. Oft wird auch der Arti­kel ver­bes­sert. (Frü­her war es wohl auch so, dass Arti­kel gele­gent­lich nur zur Löschung vor­ge­schla­gen wur­den, um Autoren auf die­sen auf­merk­sam zu machen, in der Hoff­nung, dass er dadurch ver­bes­sert wird.)

Inklusionismus/Exklusionismus

Wiki­pe­dia hat einen Enzy­klo­pä­di­schen Anspruch. Wiki­pe­dia möch­te nicht die tau­sends­te unfun­dier­te Mei­nungs­müll­hal­de sein - das gibt es im Netz schon genug. Klar klappt die­ser nicht zu 100%, aber die Reak­ti­on auf Män­gel soll­te nicht sein, die eige­nen Ansprü­che run­ter zu schrau­ben, son­dern die Qua­li­tät des Objekts zu ver­bes­sern. (mei­ne Meinung)
Es gibt auch in der WP Strö­mun­gen, die sich dafür ein­set­zen, dass mehr tole­riert wird. Die­se Strö­mun­gen errei­chen durch­aus auch etwas - zum Bei­spiel gibt es (nur mein Gefühl) immer mehr Arti­kel zu ein­zel­nen Lie­dern, was frü­her unüb­lich war.

Der Grund wes­halb die Com­mu­ni­ty ins­ge­samt trotz­dem zögert, ist der, dass Arti­kel durch ihre Exis­tenz Arbeit ver­ur­sa­chen. Das ist ein Stück weit ja auch das Prin­zip der Wiki­pe­dia - die kon­stan­te Selbst­ver­bes­se­rung und Review bestehen­der Artikel.
Kon­kret sieht das so aus, dass Benut­zer bestimm­te Sei­ten auf ihrer Beob­ach­tungs­lis­te haben, über jede Ände­rung infor­miert wer­den und es anschau­en; dass Sich­ter hin­ge­hen und schau­en, ob’s Van­da­lis­mus war; dass Admins im Blick haben, ob da gera­de ein Edit-War statt­fin­det oder sons­ti­ge Aus­wüch­se, bei denen Ein­grei­fen nötig ist. Das sind drei Auf­ga­ben, die poten­ti­ell bei jeder Ände­rung an einem Arti­kel neu anfallen.
Aber auch für die nor­ma­len Nut­zer macht ein Mehr an Arti­keln Arbeit, denn es sind ja immer mal wel­che dabei, die noch kei­ne rich­ti­gen Arti­kel sind. Die gehen dann in die Qua­li­täts­si­che­rung („QS”). Es ist ganz erhel­len, sich mal die QS der Bio­lo­gie anzu­schau­en: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Redaktion_Biologie/Qualit%C3%A4tssicherung (bit­te jetzt anklicken)
Ich bin selbst erst vor ein paar Tagen auf die QS gesto­ßen. Da wird einem erst mal klar, wie sehr einen die schie­re Mas­se an ver­bes­se­rungs­wür­di­gen Arti­keln erschla­gen kann.
Zuletzt gibt es noch eine gan­ze Rei­he War­tungs­ar­bei­ten, die von den Admins gemacht wer­den müs­sen. Wahl- und ande­re Ver­fah­ren müs­sen eröff­net, geschlos­sen, das Ergeb­nis rea­li­siert wer­den. Dann geht jeder neue Arti­kel (~400/Tag[5]) noch durch eine Ein­gangs­kon­trol­le. Leu­te und Arti­kel müs­sen gesperrt wer­den. Lösch­an­trä­ge müs­sen ent­schie­den wer­den - wobei man ver­mut­lich oft nicht die Wahl hat, sich unbe­liebt zu machen oder nicht, son­dern nur die Wahl bei wem man sich unbe­liebt macht. Das zehrt an den Ner­ven, stell ich mir vor.
Auch auf der CPOV mein­ten Admins zu mir, dass das Admin­sein deut­lich weni­ger erstre­bens­wert ist, als es nach Außen hin aus­sieht und als sie es sich vor ihrer Admin­tä­tig­keit vor­ge­stellt hatten.

Legitimation der Admins

Admins wer­den gewählt.[4] Ein Wie­der-/Ab­wahl­ver­fah­ren kann von 25 stimm­be­rech­tig­ten Benut­zern bean­tragt wer­den. Stimm­be­rech­tigt ist jeder mit 200 Edits, davon 50 in letz­ten 12 Monaten.
Kost­pro­be der infor­mel­len Wahlkriterien:
* min­des­tens ein Jahr Erfah­rung als Autor. Kan­di­da­ten mit weni­ger Erfah­rung haben kei­ne Chance
* deut­lich vier­stel­li­ge Anzahl von Edits
Man muss sich das klar machen: Admins sind nicht wie Poli­ti­ker. Wer Admin wer­den will, muss vor­her erheb­li­che Men­gen pro­duk­ti­ver Arbeit geleis­tet haben!
Hier eine Gra­fik der Autoren­tä­tig­keit bestehen­der Admins: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Admins-WP-DE.png
Auch da sieht man: Im Gegen­satz zur öffent­li­chen Wahr­neh­mung sit­zen Admins nicht läs­sig im Elfen­bein­turm, son­dern ackern wie jeder ande­re auch. Und noch mehr, da von Admins die kon­struk­ti­ve Aus­übung der Admin­rech­te erwar­tet wird. Tat­säch­lich gibt es bei Admin­kan­di­da­tu­ren Leu­te, die gegen gute Autoren stim­men, weil sie möch­ten, dass die­se sich auf ihre Arti­kel konzentrieren.

Regelwust

Als ich letz­ten Herbst wie­der ange­fan­gen habe dach­te ich: „Boah, das geht ja garnich!”
Aber inzwi­schen habe ich vie­le Din­ge aus­pro­biert und muss sagen: Es ist halb so wild, da man fast alles an pro­duk­ti­ver Arbeit auch ohne Regel­kennt­nis erle­di­gen kann. Feh­ler im Arti­kel? Kor­ri­giert man halt. Arti­kel­über­ar­bei­tung? Braucht man kei­ne Regeln für. Lösch­dis­kus­si­on? Da ver­linkt der Lösch­an­trag­stel­ler schon die rele­van­ten Regeln - die muss man dann also auch nicht suchen. Die Bau­stei­ne, die lösch­ge­fähr­de­te oder sonst­wie bear­bei­tungs­be­dürf­ti­ge Arti­kel mar­kie­ren, sind meist gut auf die rele­van­ten Hilf­e­sei­ten ver­linkt, sodass auch das kein gro­ßes Pro­blem ist.

Selbstkritik

Unter den Admins gibt es immer wie­der Rei­be­rei­en und vie­le unter­schied­li­che Ansich­ten. Oft genug wer­den die­se Din­ge in Lösch­an­trä­gen aus­ge­tra­gen, aber es gibt auch Sei­ten wie die­se hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer_Diskussion:Grillenwaage wo die Leu­te über die aktu­el­le Pra­xis dis­ku­tie­ren und was bewe­gen wol­len. Es gibt auch Mei­nungs­bil­der, in denen die Com­mu­ni­ty befragt wird, ob die­se und jene Ver­bes­se­rungs­idee gewünscht ist.
Die Autoren inkl. Admins sind sich der Pro­ble­me die es gibt, abso­lut bewusst.
Es wird viel gere­det, und auch viel getan.

Ich hof­fe, ich konn­te ein biss­chen Licht in die­se Pro­ble­ma­tik brin­gen. Fra­gen sind natür­lich gern gesehen!

[1] http://www.cpov.de/
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Spezial:Statistik
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Gesichtete_Versionen
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia%3AAdministratoren
[5] http://stats.wikimedia.org/DE/TablesWikipediaDE.htm

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